<3 OK BOOMER <3
Kunstmuseen Erfurt
20.11.2022–5.2.2023
Galerie Waidspeicher, Michaelisstraße 10, 99084 Erfurt
www.kunstmuseen.erfurt.de
Programm
- Opening,
19. November 19 Uhr
- Lesung mit Transcodiert – Queeres Literaturmagazin,
03. Dezember 17 Uhr
- Filmabend „Alle Farben des Lebens“ (2016) mit anschließender Diskussion,
15. Dezember 18 Uhr
- Artist Talk mit Maler*in Götz Sophie Schramm und Annekatrin Kohout,
14. Januar 18 Uhr
Schulklassen haben die Möglichkeit, jeden Dienstag während der Laufzeit das pädagogisches Angebot „Culture Lab I Toxische Männlichkeit“ zu buchen (galeriewaidspeicher@erfurt.de oder 0361 655-1610). In einer Führung mit anschließendem Workshop beschäftigen sich die Teilnehmenden mit heteronormativen Strukturen, Zuschreibungen und Stereotypen.
Sensible Haltungen zum toxischen Zeitgeschehen: Götz Sophie Schramms malerischen Gegenentwürfe zu gesellschaftlichen Verhaltensphänomen
Philipp Schreiner, Kurator, Kunstmuseen Erfurt
Winzige Leinwände, quadratisch, bemalt mit buntschimmerndem Lack, reliefartiger Farbauftrag in der Bildmitte; alles nur Untergrund für präzise in Öl verewigte Zuneigung anzeigende Messanger- Sticker in Form von »Umarmenden Haien«, »Lovebirds« und einem »Faultier mit Kissen«1. Es ist viel Liebe, Emotion und Cuteness zu entdecken auf den Bildern von Götz Sophie Schramm. Ihre Motive findet die Maler*in nicht nur im Repertoire der Handy-App Telegram. Die unendlichen Weiten des Internets mit seinen Imageboards, Social-Media-Netzwerken und Suchmaschinen als Gedächtnis für die gesammelten Errungenschaften des menschlichen Daseins beschäftigen die Künstler*in und ihre Malereien seit geraumer Zeit. Und so halten Memes, popkulturelle Verweise aus Musik, Film und Fernsehen sowie Bildzitate aus der Kunstgeschichte Einzug in ihre Werke. Es sind pointiert zusammengefügte Versatzstücke, die sich mit unserem zuweilen toxischen Zeitgeschehen auseinandersetzen. Schramm formuliert darin malerische Gegenentwürfe anhand derer Hass, Diskriminierung und emotionale Kälte durch Liebe, Respekt und Verbundenheit ersetzt werden sollen.
Götz Sophie Schramm wurde 1983 geboren, ist somit Teil der Generation Y oder auch Millennials genannt. Der Ausstellungstitel <3 OK BOOMER <3 bezieht sich auf deren Eltern-Generation, den sogenannten Baby-Boomern, geboren zwischen 1950 und 1964. In ihrer Solo-Ausstellung weist Schramm dezidiert auf verletzende Verhaltensphänomene hin, die unter dem Begriff »toxische Männlichkeit« ihren Platz in der öffentlichen Debatte gefunden haben, und bezieht dazu Stellung aus intersektional-feministischer2 Perspektive. Doch anstatt Konflikte zu schüren, sollen die Bilder Brücken bauen. Also kein Bashing, kein Shaming, keine Grabenkämpfe zwischen den Generationen, stattdessen Handreichen, Verständnis sowie Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Es bedarf daher einem jener Grundanliegen, für die von der Person und der Werkschau sensibilisiert werden soll: Allyship, gelebte Solidarität und aktives Verbünden mit weniger privilegierten Menschen und Gruppen.
Ein vielschichtiges Unterfangen, das auf vielen Ebenen Parallelen zu den Malereien von Götz Sophie Schramm anbietet. Sei es inhaltlich, über die notwendige Dekodierung der vielen Zeichen, Symbole oder Memes Stück für Stück den Gehalt der Bilder herauszuschälen. Oder technisch, wenn es darum geht, die verschiedenen Malstile – teilweise in einer einzigen Arbeit bis zu drei – Schicht für Schicht voneinander zu unterscheiden, als dann sich dicke, pastose Farbaufträge mit dünnen lasierenden und metallisch irisierend Maltechniken abwechseln. Dieser aufwändigen handwerklichen Umsetzung steht zuvor allerdings ein anderer Prozess im Laufe der Kompositionsentstehung voran. Schramm entwickelt einige ihrer Bilder zunächst im Digitalen, also dort wo sie oftmals ihren Ursprung haben. Im Bildbearbeitungsprogramm wird Ebene um Ebene angelegt, bevor die Gesamtkomposition ihre analoge Umsetzung mit dem Pinsel auf Leinwand erfährt. Ein nur scheinbar einseitiger Transformationsprozess vom Computergenerierten zum Handgemachten, verweisen die Bildinhalte doch so stark auf ihren Ursprung in der Netzwelt, dass deren gedankliche Rückführung in jene Welt unvermeidlich ist. Wenn es der kognitiven Rückführung nicht sogar ein Foto wird, das über Social- Media geteilt wieder eingespeist und erneut zur Quelle gelangt.
Bei aller Komplexität der collagenhaft zusammengeführten Einzelteile lässt die Maler*in die Betrachter*innen nicht damit allein. Denn wem die Dekodierung nicht gelingt, wem die Verweise fremd und die Zitate nicht geläufig sind, der findet eine Hilfestellung über die Werktitel und kann in Windeseile mittels der jederzeit zugänglichen, digital-enzyklopädischen Nachhilfe selbst für den AHA- Effekt sorgen, vermeintliche Wissenslücken schließen und Sinnzusammenhänge herstellen.
Hilfreich sind die ausführlichen Werktitel beispielsweise dann, wenn unterschiedliche Memes zu einem neuen rekombiniert werden, wie zu sehen in der großformatigen, speziell für die Ausstellung entwickelten Arbeit COMMUNION. THE FEMALE SEARCH FOR LOVE (Titel bell hooks, Meme Comedy Cemetery, Chrome Offline-Dinosaurier, Queere*r FLINTA* Doomer auf Lichttunnel Farbverlauf). Auf einer Fläche von 1,70 Meter mal 2,60 Meter arrangiert die Künstler*in auf der linken Bildhälfte ein Meme, worin Millennial, Boomer und Generation X und Z intergenerationale Misskommunikation betreiben, während auf der rechten Bildhälfte eine nicht-binäre Person mit Zügen eines Künstler*innenselbstporträts und Google Chromes verpixelter Offline-Dinosaurier zu sehen sind. Die Entscheidung, diese eklektisch nebeneinander gesetzten Motive, dieser Bild-im-Bild-Teppiche ist vergleichbar mit der weithin geläufigen Praxis von »Internetsuchen«, bei denen die Browserleiste Tab um Tab, Webseite um Webseite anwächst, nur um sich am Ende nicht mehr daran erinnern zu können, wer oder was den ursprünglichen Impuls und die endlose Aneinanderreihung von Hirnströmen ausgelöst haben mag. Aber erst an diesem Punkt, wenn die nebeneinanderstehenden Bildelemente keine eindeutige Lesart oder Interpretation zulassen, ist sich die Künstler*in gewiss, dass das Werk abgeschlossen ist, dass es gut ist.
Tauchen wir auf aus dem Versinken in die dominierend violett gehaltenen Leinwände und deren inhaltlich mannigfach aufgeladenen Motiven, finden wir uns wieder in der Dichotomie zwischen streitbaren Figuren wie Goethe, Beuys, Gagosian oder Protagonisten der Reality-Serie American Chopper und den empfindsamen Sympathieträgern wie Grogu, umgangssprachlich als Baby Yoda bekannt, und den eingangs erwähnten niedlichen Tierstickern. Und bei aller Belustigung und Erheiterung, die wir beim Betrachten von Memes und Phänomenen der Internet- und Popkultur empfinden mögen, schwelen doch die wahren und teils traurigen Geschichten hinter den aus ihrem Kontext gerissenen modernen Erzählikonen: Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Schmerz. Es gilt eine sensibilisierte Haltung gegenüber toxischen Verhaltensmustern in unserer Gegenwart zu entwickeln. Denn wie mahnend und weise wusste Meister Yoda bereits zu sagen: »Viel zu Lernen du noch hast.«
1 FÜR ALICE (Selbstformulierter Titel, Telegramsticker: Faultier mit Kissen, Lovebirds, Umarmende Haie), Öl auf irisierendem Lack und Leinen, jeweils 15 x 15 cm, 2021-2022.
2 Intersektionaler Feminismus denkt die Angriffsflächen für Diskriminierung und Benachteiligung wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Hautfarbe, Körperkonstitution usw. zusammen und zeigt die Möglichkeit multi-faktorieller Ausgrenzung auf.
¯\_(ツ)_/¯
Solo Show at Gallery
Falko Alexander I Cologne
25 June - 24 July 2021
https://www.falko-alexander.com/¯_ツ_-¯/
https://www.gallerytalk.net/die-welt-der-memes-goetz-schramm-bei-falko-alexander/
Programm
25. Juni 18:00
Opening (IRL)
7. Juli 18.00
IG-Live-Talk mit Falko Alexander, Leonore Spemann, Götz Sophie Schramm und Wolfgang Ullrich
14. Juli 18:00
Zoom-Talk mit Falko Alexander, Dirk von Gehlen, Annika Goretzki, Götz Sophie Schramm und Leonore Spemann
21. Juli 18:00
Soiree im Hub mit Leonore Spemann und Götz Sophie Schramm
24. Juli 18:00
Finissage (IRL)
Götz Sophie Schramm verwebt in ihren* Arbeiten Bildfragmente, die dem Internet entnommen wurden — vornehmlich Memes, Gifs und Logos — mit Referenzen aus der Kunstgeschichte. Zunächst am Rechner erstellte Mashups werden in akribisch altmeisterlicher Technik in Öl auf Leinwand umgesetzt und vom digitalen in den analogen Raum überführt.
Diese kompositorische Herangehensweise des Remix muss in enger Verbindung zur Bildverwendung der Meme-Kultur im Internet betrachtet werden. Der Begriff Meme, wird erstmals von Richard Dawkins erwähnt und bezeichnet einen Bewusstseinsinhalt, der in Analogie zur Genetik im Sinne einer soziokulturellen Evolution durch Wiederholung weitergegeben und massenhaft verbreitet werden kann. In der heutigen Netzkultur werden diese zumeist humorvollen, Bild- Schrift und Tonschnipsel häufig dazu genutzt, um Haltungen zum Zeitgeschehen pointiert zum Ausdruck zu bringen oder zu kommentieren.
Sie sind somit zum Sinnbild einer Gesellschaft geworden, die sich immer stärker polarisiert und politische- sowie Identitätskonflikte auf der Spielwiese einer referenziellen Bildkultur austrägt. Die Bilder, die Götz Schramm verwendet, haben den Prozess der Dekontextualisierung bereits durchlaufen und wurden durch ihre Verwendung im Netz mit neuen Bedeutungsebenen aufgeladen. Der Baby-Yoda, der einem Star Wars Spin-Off entstammt, wurde beispielsweise zur Symbolfigur der LGBTQ Community. Im Gegensatz zur Pop Art, die auch mit den visuellen Insignien der Massenkultur spielt, verwendet der Künstler*in Bilder an denen bereits eine Vielzahl von Akteuren Hand angelegt haben und in denen sich Zeitgeschichte als gemeinschaftliches Projekt kulminiert. Der Bildfundus der Meme-Kultur mit all seinen Konnotationen und seiner Bedeutungsvielfalt wird in einen losen assoziativen Zusammenhang gesetzt, in dem sowohl persönliche als auch kollektive Erlebnisse verschmelzen. Dem Ausstellungstitel
¯\_(ツ)_/¯ — der zum Teil aus Zeichen des japanischen Katakana-Alphabets zusammengesetzt ist — hat Dirk von Gehlen in das „Pragmatismus-Prinzip“ ein komplettes Buch gewidmet. Dieses Emoticon, das als Shruggie bezeichnet wird – abgeleitet von dem englischen Begriff für Schulterzucken) steht für eine positive, pragmatische und niemals zynische Haltung als Reaktion auf eine immer komplexer werdende Gesellschaft, in der sich eine Vielzahl an Haltungen immer unversöhnlicher gegenüberstehen. In diesem Sinne können auch die Arbeiten der Künstler*in verstanden werden. Sie verdichten Zeitgeschehen in Form einer bildlichen Meta-Kommentierung, die aber nicht den Anspruch erhebt wertende Urteile auszusprechen oder sich ideologisch zu verfestigen.
Falko Alexander